Die Regentrude. Theodor Storm (Auszug aus der Illustrierten Zeitung 30. Juli 1864) … Dann mußte Maren erzählen, wie sie hierher gekommen, und die Trude legte sich ins Moos zurück und hörte zu. Mitunter pflückte sie eine der Blumen, die neben ihr emporsproßten, und steckte sie sich oder dem Mädchen ins Haar. Als Maren von dem mühseligen Gange auf dem Weidendamme berichtete, seufzte die Trude und sagte: „Der Damm ist einst von Euch Menschen selbst gebaut worden; aber es ist schon lange, lange her! Solche Gewänder, wie Du sie trägst, sah ich nie bei ihren Frauen. Sie kamen damals öfters zu mir, ich gab ihnen Keime und Körner zu neuen Pflanzen und Getreiden, und sie brachten mir zum Dank von ihren Früchten. Wie sie meiner nicht vergaßen, so vergaß ich ihrer nicht, und ihre Felder waren niemals ohne Regen. Seit lange aber sind die Menschen mir entſremdet, es kommt Niemand mehr zu mir. Da bin ich denn vor Hitze und lauter langer Weile eingeschlafen, und der tückische Feuermann hätte fast den Sieg erhalten.
Maren hatte sich währenddessen ebenfalls mit geschloſſenen Augen auf das Moos zurückgelegt; es thaute so sanft um sie her, und die Stimme der schönen Trude klang so ſüß und traulich. „Nur einmal,“ fuhr diese fort, „aber das ist auch schon lange her, ist noch ein Mädchen gekommen, sie sah fast aus wie Du und trug fast eben solche Gewänder. Ich schenkte ihr von meinem Wiesenhonig, und das war die letzte Gabe, die ein Mensch aus meiner Hand empfangen hat.“
„Seht nur,“ sagte Maren, „das hat sich gut getroffen! Jenes Mädchen muß die Urahne von meinem Schatz gewesen sein, und der Trank, der mich heute so gestärkt hat, war gewiß von Eurem Wiesenhonig!“ Die Regenfrau dachte wohl noch an ihre junge Freundin von damals; denn sie fragte: „Hat sie denn noch so schöne braune Löckchen an der Stirn?“ – „Wer denn, Frau Trude?“ „Nun, die Urahne, wie Du sie nennſt!“ „O nein, Frau Trude,“ erwiderte Maren, und sie fühlte sich in dieſem Augenblick ihrer mächtigen Freundin fast ein wenig überlegen, – „die Urahne ist ja ganz steinalt geworden!“ „Alt?“ fragte die ſchöne Frau. Sie verstand das nicht, denn sie kannte nicht das Alter. Maren hatte große Mühe, ihr es zu erklären. „Merket nur!“ sagte sie endlich, „graues Haar und rothe Augen und häßlich und verdrießlich ſein! Seht, Frau Trude, das nennen wir alt!“ „Freilich,“ erwiderte dieſe, „ich entsinne mich nun; es waren auch solche unter den Frauen der Menschen, aber die Urahne soll zu mir kommen, ich mache sie wieder froh und schön. Maren ſchüttelte den Kopf. „Das geht ja nicht, Frau Trude,“ sagte sie, „die Urahne ist ja längst unter der Erde.“ Die Trude seufzte. „Arme Urahne!“ Hierauf schwiegen beide, während sie noch immer behaglich ausgeſtreckt im weichen Moose lagen.
„Aber Kind!“ rief plötzlich die Trude, „da haben wir über all dem Geplauder ja ganz das Regenmachen vergessen. Schlag doch nur die Augen auf! Wir sind ja unter lauter Wolken ganz begraben; ich sehe Dich schon gar nicht mehr!“ „Ei, da wird man ja naß wie eine Katze!“ rief Maren als sie die Augen aufgeschlagen hatte. Die Trude lachte. „Klatsch nur ein wenig in die Hände, aber nimm Dich in Acht, daß Du die Wolken nicht zerreißt!“ So begannen beide leise in die Hände zu klopfen, und als- bald entstand ein Gewoge und Geſchiebe, die Nebelgebilde drängten sich nach den Oeffnungen und schwammen, eins nach dem andern, ins Freie hinaus. Nach kurzer Zeit sah Maren schon wieder den Brunnen vor sich und den grünen Boden mit den gelben und violetten Irisblüten. Dann wurden auch die Fensterhöhlen frei, und sie sah weithin über den Bäumen des Gartens die Wolken den ganzen Himmel überziehen. Allmählich verschwand die Sonne. Noch ein paar Augenblicke und sie hörte es draußen wie einen Schauer durch die Blätter der Bäume und Gebüſche wehen, und dann rauschte es hernieder, mächtig und unablässig. Maren saß aufgerichtet mit gefalteten Händen. „Frau Trude, es regnet,“ sagte sie leise. Diese nickte kaum merklich mit ihrem schönen blonden Kopfe; sie saß wie träumend.
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